Hightech meets Handwerk.

Wie lassen sich sinnliche Momente in digitalen Zeiten erschaffen? Die Interior Design Talents der Ambiente bewegten sich in diesem Jahr oft an den Schnittstellen zwischen analoger Lebenswelt und digitalen Produktionsmöglichkeiten – und zeigten neues Design mit überraschenden, humorvollen und poetischen Resultaten.

 

So wie hier hat man Porzellan noch nicht gesehen. Die maritim eingefärbten Vasen und Gefäße von Additive Addicted scheinen in permanenter Bewegung, wie von Wellen durchzogen wabern die Objekte vor sich hin. An einzelnen Stellen nimmt das Material einen Richtungswechsel vor: Scharfe Kurve nach links oder rechts, danach geht es wieder in die Gegenrichtung, wo sich das Porzellan von feinsten Rillen oder Reliefs durchzogen in die Höhe schraubt. Oder seitlich wie ein Schal scheinbar lose übereinander gelegt wird.

In ihrer digitalen Porzellanmanufaktur erforscht Babette Wiezorek, welche Potenziale die Verknüpfung digitaler und analoger Fertigungstechniken bereithält. „Ich möchte die Grenzen der Technologie pushen“, erklärt die Berliner Produktdesignerin. Seit ihrer frühen Kindheit arbeitet sie mit Keramik, später kamen erste Versuche mit einem Keramikdrucker hinzu, den sie selbst zusammenbastelte. Inzwischen sind die technischen Möglichkeiten viel ausgereifter – was aber noch lange keine überzeugenden Produkte garantiert. „Es muss schließlich auch ein ästhetisch sinnvolles Ergebnis sein“, meint Wiezorek. Reine Effekthascherei interessiert sie nicht. „Ich nutze die technischen Produktionsmöglichkeiten nicht, weil die Möglichkeit dazu besteht, sondern, weil ich meine Ideen anders nicht umsetzen könnte.“ So ein tief geprägtes Relief – das, erklärt die Designerin und zeigt eine marineblaue Vase mit strickmuster-artiger Prägung, bekomme man in händischer Bearbeitung einfach nicht hin.

Additive Addicted
Additive Addicted

Es darf nostalgisch werden

Hightech und Handwerk, zwischen diesen Polen bewegen sich etliche Arbeiten der diesjährigen Living Talents. Über vielen schwebt die Frage nach den Möglichkeiten sinnlicher Erfahrungen in digitalen Zeiten. Wie kann neues Design diesem Bedürfnis Rechnung tragen? „Es ist heute sehr leicht geworden, zu vergessen“, meint Bodin Hon. Schließlich sei alles irgendwo gespeichert – und das Smartphone übernehme im Zweifel die Erinnerungsarbeit zu ausgewählten Terminen und Anlässen. Mit Objekten wie dem Bubbling Light Dome wollen er und Dilara Kan ein analoges Gegenmittel anbieten. Unter dem Namen Yellowdot Design entwickelt das Design-Duo aus Hongkong Möbel und Objekte, die ausgewählten Erinnerungsstücken die passende Präsentation bieten sollen. Wer sich hier an die Wunderkammern mit ihren Schaukästchen erinnert fühlt, liegt goldrichtig: Kleinere Schauboxen sind mit buntem Fellboden ausgestattet, andere beherbergen duftende Kristalle. Und der mundgeblasene Bubbling Light Dome enthält zwar keine wirklichen Seifenblasen, schafft dank speziell geformter Glasglocke mit irisierendem Oberflächenfinish aber genau jene Illusion eines kurzen Augenblicks, kurz bevor die Blasen platzen.

Yellowdot Design

Mit dem Versprechen auf sinnliche Erfahrungen warten auch die ungewöhnlichen Objekte von Kamehikoworks auf. Es sind handgroße Lavasteine, die mit Hunderten Blüten gespickt den Eindruck eines lebendigen Souvenirs aus dem Wald- und Wiesenspaziergang erwecken – umso mehr, da die bunten Blütenfelder mit ätherischen Ölen beträufelt einen intensiven Duft verströmen. „Ein Stück Natur in der Hand“, so beschreibt der Japaner seine Idee von einem neuen Designobjekt, das sich deutlich von den üblichen Produkten in diesem Sortiment abhebt. Ein wenig nostalgisch dürfe es schon sein. Das Lavagestein stammt aus dem Land der aufgehenden Sonne, ebenso wie die eingefärbten Blüten, die der Designer einzeln mit der Pinzette einsetzt. Rund eine Stunde benötigt er pro Objekt, jeder Stein enthält später einen Teppich aus rund 200 bis 300 Blüten – eingefärbtes Schleierkraut oder Reisblüten, zum Beispiel. Wie es sich für ein richtiges Ritual gehört, liefert Kamehiko schließlich auch die passenden Duftmischungen für die unterschiedlichen Farbvarianten mit: Colour Wind, Pale Wind, Green Wind und, natürlich, der Nostalgic Wind.

Kamehikoworks
Kamehikoworks

Mehr Spaß durch Technik

Einige Meter weiter stapelt Nikolas Miranda seine knalligen Leuchtelemente immer wieder neu aufeinander. Mayamot, sein selbst entwickeltes Steckleuchtsystem, hat an diesen Tagen schon viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Vielleicht, weil es ein bisschen wie ein Spielobjekt für Erwachsene wirkt, dabei aber eine ganz praktische Funktion erfüllt. Dass alles perfekt funktioniert und nicht nur gut ausschaut, war Miranda besonders wichtig. Über 200 LEDs hat er je Element schätzungsweise verbaut, jedes einzelne Modul selbst aus MDF-Platten gefertigt, sorgfältig lackiert und mit Acrylglas verarbeitet. „Ich bin gelernter Tischler“, erklärt der Münsteraner. Das Handwerk allein wurde ihm aber irgendwann zu beengt, weshalb er nun eine Designakademie speziell für Handwerker besucht. Das knallbunte Steckleuchtensystem mit einigem Pop-Art-Appeal war für Miranda „der Versuch, unlangweilig zu sein“ – so jedenfalls übersetzt er die Bedeutung des Namens in Tagalog, der philippinischen Sprache seines Vaters. Dieses Ziel dürfte er mit Mayamot erreicht haben. Technisch ausgeklügelt, dabei spielerisch in der Anwendung und immer wieder neu kombinierbar, dürften viele Besucher darauf hoffen, dass dieses Objekt bald in Serie gehen kann.

Nikolas Miranda
Nikolas Miranda

Optisch wie haptisch interessant ist auch der Shape of Colour-Teppich, den anima ona präsentieren. Das Kollektiv agiert an der Schnittstelle zwischen praktischem Design und Designforschung.

Anima Ona

Ihren Teppich beispielsweise verstehen sie als „Abstraktion eines traditionellen, handgewebten“ Exemplars. Das Muster wird direkt auf das Gewebe gedruckt, die Unterseite mithilfe der neuen Produktionstechnik GRDXKN gefertigt. Hinter diesem unaussprechlichen Kürzel verbirgt sich eine Methode des Textilfarbdrucks, der regelrecht dreidimensionale Wirkung entfaltet: Der Shape of Colour-Teppich ist nicht nur sattgelb eingefärbt, sondern erhebt sich wie ein kleines Relief vom Boden. Die Textilfarbe verleiht ihm geräuschdämpfende Eigenschaften und macht den Teppich nebenbei auch noch rutschfest. Es sei ein work-in-progress, erklärt Freia Achenbach, die den Shape of Colour-Teppich nur als eine Art Zwischenergebnis versteht. Anima ona wollen weiter erforschen, was neues Design heute bedeuten kann: Welche Möglichkeiten spezifische Techniken und Fertigungsmethoden für ihre Arbeit bereithalten – und wie sich die Gestaltung umgekehrt durch technische Möglichkeiten verändern wird.

Anima Ona