Nahaufnahme von einem der zwei neuen Ethical Style Spots auf der Ambiente

Das Schöne im Wandel.

Kreislaufwirtschaft, Upcycling, alternative Materialien und transparente Lieferketten: Nachhaltigkeit ist das große Thema der Konsumgüterbranche. Die dazugehörigen Konzepte sind dabei so facettenreich und spannend, wie die Unternehmen selbst – das hat auch die Ambiente 2023 eindrücklich gezeigt. Ein Rück- und Ausblick darauf, wie das Schöne noch besser wird.

 

Wohntrends, Geschenke, persönliche Accessoires und 1001 Ideen für den kreativ gedeckten Tisch. Es sind die schönen Themen des Lebens, die die Produktwelt der Konsumgüterbranche ausmachen. Was sich derzeit verändert, ist der Anspruch an die ökologische und soziale Verträglichkeit dieser besonderen Warenwelt. Dabei erzeugen erdrückende Nachrichten wie verfehlte Klimaziele, Naturkatastrophen, Pandemien und Kriege eine neue Art der Dringlichkeit. Und die Unternehmen sind aktiv. So war auf der Ambiente das zu erleben, wovon Zukunftsforscher Matthias Horx spricht: der Übergang von der Zeitenwende in die Wandelzeit. So nennt er in seinem „Zukunftsreport 2023“ die Epoche, in der die Menschen die großen Herausforderungen anpacken, konstruktiv agieren und die Welt als ein wertvolles Ganzes sehen.

Wegweiser durch die grünen Welten

Wer sich zur Ambiente auf diesen Pfad begibt, kann sich auf ein großes Netzwerk an Partner*innen und praktische Tools verlassen. Eines davon ist Ethical Style by Ambiente. Das kuratierte Verzeichnis führt eine Auswahl an Ambiente-Ausstellern mit ethisch bzw. ökologisch wertvollen Produkten. Diese sind in der Online-Ausstellersuche entsprechend gekennzeichnet, vor Ort auf der Messe markieren spezielle Labels die Messestände. Auf diese Weise bietet Ethical Style allen Besucher*innen eine verlässliche Orientierung in dem rasant wachsenden nachhaltigen Produktangebot. Bewerben können sich Aussteller in sechs Ethical Style-Kategorien:

  • Eco-friendly material
  • Eco-optimised production
  • Fair & social production
  • Re-/upcycling design
  • Handmade manufacturing
  • Sustainable innovation

Die international besetzte Jury setzt sich aus sechs unabhängigen Expert*innen zusammen. 2023 präsentierte die Ambiente dazu erstmals zwei Ethical Style Spots auf dem Gelände. Diese zeigen Ausschnitte der kuratierten Produkte und liefern den Fachbesucher*innen einen kompakten Überblick in den unterschiedlichen Themenfeldern. Dieses Jahr trugen 253 Aussteller*innen das Label – so wie übrigens sämtliche die Unternehmen, die im Folgenden vorgestellt werden.

 

Ethical Style Spot auf der Ambiente 2023

Innovationen frisch aufgetischt

Wie nachhaltig Genuss zu Hause und unterwegs sein kann, zeigt das deutsche Familienunternehmen Koziol. Der Pionier mit Sitz im Odenwald hat zu seinem 95. Geburtstag den Relaunch als Nachhaltigkeitsbrand gefeiert. Im Zentrum steht die neue Produktlinie „Bio-Circular“, die auf einem neuartigen, biozirkulären und recycelbaren Kunststoff basiert. Zu dessen Erzeugung werden entsorgte Sonnenblumen- und Rapsöle aus der Industrie und Gastronomie in einem speziellen Recyclingverfahren zu Kunststoff umgewandelt. Die zugesetzten Holzfasern bestehen aus Resten der Forstpflege und Papierherstellung. Alle Hölzer stammen aus europäischem Anbau und sind FSC-zertifiziert.

Transparent und lebensmittelecht. Diese Kombination stellt eine besondere Herausforderung für Biokunststoffe dar. Gelöst hat das Problem die italienische Marke Guzzini. Deren brandneue Serie Dolcevita entstammt der Feder des Designerduos Pio & Tito Toso, das sich für diese Linie von der venezianischen Glasbläserkunst hat inspirieren lassen. Die farbintensive, glasklare Kollektion für den festlich gedeckten Tisch besteht aus Kunststoff, der aus pflanzlichen Biomasseresten und -abfällen gewonnen wird.

 

Koziol
Guzzini

Eine andere Alternative tischt das niederländische Unternehmen Originalhome auf. Die Kollektion aus handgefertigten Trinkgläsern, Karaffen und Vasen wird aus geupcycelten Weinflaschen auf Sansibar (Tansania) hergestellt, wo aufgrund fehlender Recyclingsysteme viele Touristenabfälle im Meer oder auf dem Müll enden, anstatt zurück in den Kreislauf zu gehen. Gegründet wurde das international agierende Unternehmen von einer Gruppe unabhängiger Fachleute, die ihr Know-how bewusst für eine soziale und grüne Welt einsetzen.

Stand von Originalhome auf der Ambiente 2023

Den Blick auf zukunftsfähige Alternativen im Interior Design richtet die Sustainable Manufacturing GmbH mit ihrer Marke Recozy. Das 2021 gegründete Start-up hat eine klare Mission: Es will die Möbelindustrie besser machen, wenn nicht sogar revolutionieren und setzt dafür klar auf die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Im eigenen Werk in Norddeutschland fertigt das Unternehmen Leuchten, Wohnaccessoires und Möbel im 3D-Druckverfahren – ressourcenschonend und nahezu CO2-neutral. Die verwendeten Granulate bestehen überwiegend aus recycelten Materialien. Gedruckt wird nur auf Bestellung, die Lieferkette liegt zu über 90 Prozent in Europa. Alle Objekte sind so konzipiert, dass diese am Ende ihres Lebenszyklus in ihre jeweiligen Einzelteile zerlegt und die Komponenten voneinander getrennt werden können. Das ermöglicht es der Manufaktur, nahezu alle Materialien komplett wiederzuverwenden. Die Produkte entwickelt das Designteam selbst oder zusammen mit spezialisierten Gestalter*innen. Darüber hinaus halten die Jungunternehmer Vorträge an Unis und Schulen zum Thema Kreislaufwirtschaft und kooperieren mit Sozialeinrichtungen.

Recozy
Flexbook (Foto: Kerstin Männer)

Handeln in Netzwerken

Mit diesem ganzheitlichen Ansatz Trend zum Arbeiten in Netzwerken liegt Recozy voll im Trend. Denn eines ist klar: Die Herausforderungen mögen zwar groß sein, aber es finden sich immer mehr erfahrene Expert*innen für die benötigten Lösungen. Auf das Know-how innovativer Partner*innen setzt etwa die griechische Marke Flexbook für ihre neue Notizbuch-Linie Ecosmile. Das verwendete „Crush“-Papier dafür stammt von der italienischen Manufaktur Favini. Die Zutatenliste des Naturmaterials liest sich fast wie ein Sommergericht: Das Cover enthält je nach Typus Lavendel, Kiwis, Mandeln, Kirschen, Kaffee oder Oliven, der Innenteil besteht aus griffigem Zitruspapier. Das Material ist kompostierbar, frei von Säure sowie Industrieruß (Carbon Black) und spart zwanzig Prozent Kohlenstoffdioxid im Vergleich zur herkömmlichen Herstellung ein.

Erfolgreich, fair und gut vernetzt arbeitet das niederländische Unternehmen Van Verre in Ländern entlang der historischen Handelsrouten. Die Kollektionen von Schmuck bis Wohntextilien entstehen zusammen mit lokalen Kunsthandwerker*innen und verbinden traditionelle Techniken mit der Idee des Upcyclings. Dabei transformieren viele der langfristig angelegten Projekte Probleme zu Lösungen. Ein Beispiel dafür ist die Armbänder-Serie des Bozo-Stamms (Mali). Die Menschen hier leiden unter der Verschmutzung ihres Heimatflusses. Mit Van Verre begannen die Frauen die am Ufer zuhauf angespülten Flip-Flops zu sammeln, einzuschmelzen und daraus farbenfrohe Schmuckstücke zu fertigen.

Van Verre

Vielfältige Ansätze

Ob disruptiver Umbau des Unternehmens oder kleine, gangbare Schritte auf dem Weg in eine bessere Welt: Zeitgemäß nachhaltigen Ansätzen sind kaum Grenzen gesetzt. Klatt Objects etwa produziert facettenreiche Wohnaccessoires nach achtsamen Prinzipien in kleinen Manufakturen und Familienbetrieben auf den Philippinen. 3DCork aus Portugal wiederum mixt für seine Tableware nachhaltig gewonnenen Kork mit lokalen Abfällen wie Tennisbällen oder Kaffeesatz. Vertretbare Lösungen für Leder zeigt die Manufaktur Keskari, die das Naturmaterial für ihre Taschenunikate von nachhaltigen Milchbetrieben bezieht. Und gleich mehrfach ausgezeichnete Nachhaltigkeit präsentiert DF David Fussenegger. Auf den European Green Award 2021 folgte jetzt in Frankfurt der German Design Award 2023 in der Kategorie „Excellent Product Design“ für die Kuscheldecken „Lima“ aus Recyclinggarn.

1 Klatt Objects / 2 Van Verre / 3 MADE51 / 4 Originalhome / 5 3DCork / 6 DF David Fussenegger / 7 Flexbooks / 8 Keskari
 
MADE51

17 Ziele für eine bessere Welt

Neben neuen Materialien und Herstellungsweisen rücken die globalisierten Lieferketten in den Fokus der Branche. Generelle Richtlinien für Staaten und Unternehmen bieten die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen (UN). In ihrer Agenda 2030 vom September 2015 haben sich alle 193 UN-Mitgliedstaaten auf 17 Ziele geeinigt, um sozioökonomischen Wohlstand und ökologische Nachhaltigkeit zu fördern. Die gesteckten Ziele, am denen auch die Ambiente ihr Handeln ausrichtet, reichen vom Kampf gegen Armut und Hunger über die Förderung von Bildung und Gleichberechtigung bis hin zu nachhaltigem Wirtschaften und technologischer Innovation.

In diesem Kontext bewegt sich MADE51, eine Initiative des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Zusammen mit Partner*innen aus der Wirtschaft arbeitet das internationale Team daran, zukunftsfähige Existenzgrundlagen für geflüchtete Kunsthandwerker*innen zu sichern. Weltweit entstehen so Werkstätten, in denen marktreife Produkte gefertigt werden. Die Kollektion umfasst Mode, Geschenkartikel und Wohnaccessoires: nachhaltig, handgearbeitet und fair gehandelt. Unterstützung erhält MADE51 bereits seit der Gründung 2018 auch von der Messe Frankfurt durch den Auftritt auf der Ambiente.

 

Teil der Lösung werden

Auf der Ambiente 2023 haben wir Mark Kwami getroffen. Der Designer und Mitbegründer von Things for Good verantwortet im MADE51-Team die Bereiche Design und Produktentwicklung sowie den Ausbau neuer Kapazitäten.

 

Seit wann gibt es MADE51 und wie kam das Projekt zustande?

Mark Kwami: MADE51 wurde 2018 von der UNHCR ins Leben gerufen, um Geflüchteten neue Perspektiven zu eröffnen. Weltweit müssen Menschen ihre Heimat aufgrund von Krieg, Verfolgung, Hunger oder Umweltkatastrophen verlassen, vor allem in Afrika und Asien. 2022 haben wir die Grenze von weltweit hundert Millionen Flüchtenden überschritten. Fast noch fataler ist die Durchschnittsaufenthaltsdauer, die auf 17 bis 20 Jahre angestiegen ist. In den Lagern sind die Menschen oft zur Tatenlosigkeit verurteilt, denn die wenigsten Länder, die sie aufnehmen, können ihnen Beschäftigung bieten. Diese Perspektivlosigkeit bricht MADE51 auf.

Mark Kwami, Team MADE51

Wie funktioniert das?

Mark Kwami: Die Idee ist recht simpel: Die Menschen bringen nicht nur ihre Not, sondern auch ihre Kompetenzen mit in die Lager. Männer mit handwerklichem Know-how finden so teils Arbeit. Frauen hingegen haben es deutlich schwerer, obwohl viele von ihnen über bewundernswerte kunsthandwerkliche Fertigkeiten verfügen. Genau dort setzen wir an und suchen in den Lagern nach Geflüchteten, die beispielsweise traditionelle Handarbeiten beherrschen. Passt alles, nehmen wir ein Projekt auf, entwickeln Produkte, die vor Ort produziert und weltweit verkauft werden. Mithilfe einer Mapping-App können wir dazu abrufen, in welchen Regionen wir über welche Ressourcen verfügen. Diese Skalierbarkeit ist wichtig. Denn wenn wir erst einmal mit einem Produkt am Markt sind, wollen wir genauso lieferfähig sein wie konventionelle Anbieter.

 

Also ist MADE51 kein klassisches Hilfsprojekt?

Mark Kwami: Wir helfen, ja, aber wir sind absolut kein Charity-Projekt, in dem eine Abhängigkeit die andere substituiert. MADE51 verfolgt ein realistisches Wirtschaftsmodell, das sich selbst trägt und die Geflüchteten gezielt in die globale Wertschöpfungskette einbindet. Dabei agieren wir sehr verantwortungsbewusst. Um faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen zu sichern, arbeiten mit der World Fair Trade Organization (WFTO) und lokalen Sozialunternehmen zusammen. Unsere ausgewählten Partner*innen vor Ort kümmern sich um die Schulung der Geflüchteten sowie die Produktionskoordinierung und Exportlogistik. Im Gegenzug erhalten sie Unterstützung, um die jeweilige Produktlinie nachhaltig in ihr Produktsortiment einzubinden. Dazu bekommen sie durch die Vermarktungsbemühungen von MADE51 Kontakt zu neuen Kund*innen aus der ganzen Welt. So stärkt MADE51 diese Partner*innen und stimuliert auch die Wirtschaft in der jeweiligen Region.

MADE51 auf der Ambiente 2023
MADE 51-Projekt mit Chloé (Foto: Chloé)

Wie sieht Ihre Produktentwicklung aus?

Mark Kwami: Wir wollen starke und aufregend zeitgenössische Kollektion entwerfen. Dafür greift unser Designteam relevante Gestaltungstrends auf und führt diese mit den Mustern, Motiven und Techniken zusammen, die für die Kultur unserer Kunsthandwerker*innen relevant sind. Das ist auch Teil unseres Storytellings, welches ein wesentliches Element darstellt. Denn die Geschichten hinter den Produkten sind das, was MADE51 ausmacht. Sonderkollektionen wie die mit der französischen Luxusmarke Chloé zeigen, welchen hohen Qualitätsstandards das Kunsthandwerk von Geflüchteten erfüllen kann – und zwar trotz der eingeschränkten Produktionsbedingungen.

 

Welche Vorteile haben die Geflüchteten?

Mark Kwami: Die Vorteile sind vielschichtig und nachhaltig. Zum einen finden in unseren Projekten vor allem Frauen eine dauerhaft verlässliche Einnahmequelle. Zum anderen bieten wir ihnen mit den Arbeitsstätten einen Ort für Gemeinschaft, Austausch und Sicherheit. Und natürlich geht es auch um das Selbstwertgefühl, wieder ein produktiver Teil der Gesellschaft zu sein.

 

Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sind große Themen. Spüren Sie eine Veränderung im Markt?

Mark Kwami: Das Bewusstsein hat sich schon klar verändert, was auch die vielen Gespräche auf der Ambiente gezeigt haben. Wichtig ist uns, dass wir sowohl Handel als auch Designmarken die Chance geben, Teil der Lösung einer der größten Herausforderungen unserer Zeit zu werden – der Flüchtlingskrise. Das können sie, indem sie ihre Lieferketten für Produkte von Geflüchteten öffnen. Wie gut das funktioniert, zeigt unser Projekt in Japan. 2021 haben wir für Uniqlo, einen der größten Bekleidungseinzelhändler des Landes, Armbänder als Kundengeschenk entworfen. 2022 folgte ein Pilotprodukt, ein Schlüsselanhänger, der regulär verkauft wurde. Dieses Jahr nimmt Uniqlo MADE51 mit mehreren Produkten in die eigene Kollektion auf, sprich in die ganz normale Lieferkette. Das ist das, was wir wollen.

Ausblick

Vorreiter wie MADE51, Recozy oder Van Verre zeigen: Der Wandel des Schönen ist in vollem Gange. Und auch wenn der Weg zu einer vollständig klimaneutralen und nachhaltigen Konsumwelt noch weit erscheint, wird er von immer mehr Hersteller*innen und Marken gegangen. Angebote wie Ethical Style stellen in diesem Prozess wertvolle Werkzeuge für die Kommunikation und die Orientierung dar. Auch zur Ambiente 2024 können sich Aussteller wieder um eine Aufnahme in das Ethical Style-Programm bewerben. Die Bewerbungsmodalitäten werden im August bekanntgegeben. Mehr Informationen über Ethical Style finden Sie hier.