Sharing is Caring.

Es ist wie beim letzten Abendmahl: Ein geteiltes Essen schenkt einen Moment lang Frieden. Essen ist in den vergangenen Jahren zu einer Art neuer Religion geworden: Die bewährte Formel „Du bist, was du isst“ trifft heute mehr denn je auf Menschen zu, die sich als Veganer, Paleo-Jünger oder Clean-Eater ausweisen und sich darüber zunehmend identifizieren. Die neue Ess-Kultur schlägt sich nicht nur in einem großen Angebot an neuartigen Lebensmitteln, Restaurants und Kochschulen nieder, sondern wird auch via Social Media verhandelt. Genau so wichtig wie das Essen selbst ist nämlich die Kommunikation darüber. Laut einer Studie von Ikea betreffen sechs von zehn Social Media-Einträgen das Thema Essen. Das Posten einer mit Körnern und Blumen verzierten Quinoa-Bowl bei Instagram etwa ist mittlerweile ein Klassiker und stellt nichts anderes dar, als das Essen mit anderen zu teilen – wenn auch nur digital.

Nicolas Vahé, House Doctor
Denby Pottery

Der neue Luxus

Gesteigert werden kann dies bei einem ganz realen gemeinsamen Essen mit Freunden und in der Familie. Hier tauscht man sich aus, erfährt voneinander und genießt gemeinsam. Denn geht es nach den Zukunftsforschern, so ist das gemeinsame Verbringen von Zeit mit Freunden der „neue Luxus“, wonach sich der gestresste Mensch von heute sehnt. Ob beim Urban Gardening um die Ecke, beim Feiern in der Hausgemeinschaft oder am Tisch mit Freunden – man sucht sich bewusst Mitmenschen aus, mit denen man eine bestimmte Wertekultur teilt.

1 Schüssel von Revol1768
2 Schüssel von Costa Nova
3 Schüssel von blomus
4 Schüssel von Fuga Russia
5 Teller von Degrenne Paris
6 Teller von Nonna Peppy
7 Teller von Dottir
8 Schüssel von Bizzirri

Essen in der Gemeinschaft schafft den Moment, in dem sich die heute hochindividuellen Lebensläufe zusammenfinden – gerade, weil es so einfach ist. Es kann jeder, es will jeder, es macht jedem Spaß. Das Zusammenfinden am Tisch, bei einer leckeren Mahlzeit, die man teilen und auf unterschiedlichen Schalen servieren kann, von denen sich jeder bedient, stellt ein kurzzeitiges Wir-Gefühl her, das so wichtig für uns ist, sind wir doch häufiger als früher allein. So oft wie nie zuvor geht man heute auswärts mit Freunden, Bekannten oder Kollegen essen – aber auch das gemeinsame Kochen in den eigenen vier Wänden ist beliebt. All das setzt voraus, dass man in Frieden miteinander lebt. So ist gemeinsames Essen nichts anderes, als einen Moment lang Frieden zu erleben – und wer will das heute nicht?

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Serax

Besonders das miteinander geteilte Essen hat von jeher einen hohen symbolischen Wert und bestärkt das Gemeinschaftsgefühl. Als Jesus von Nazareth am Abend vor seinem Verrat seine Jünger zusammenrief, um mit ihnen gemeinsam zu speisen, brach er das Brot und sprach: „Nehmt, dies ist mein Leib.“ Er gab nichts weniger als ein Stück von sich selbst (symbolisch natürlich) durch das Teilen des Essens. Und wir lernen daraus: Wenn wir unsere Speisen teilen, zeigen wir tiefe Verbundenheit mit dem anderen.

Wik & Walsøe

Die Küche der Levante

Dass wir ausgerechnet in den vergangenen Jahren eine Küche wiederentdecken, die genau dort herkommt, wo Jesus sein Abendmahl bereitete, mag ein Zufall sein – vielleicht aber auch nicht. In Jerusalem kommen nicht nur die drei großen Religionen zusammen, sondern auch die Küchen Europas, Nordafrikas und des Nahen Ostens. Yotam Ottolenghi, der Chef des Londoner Nobel-Restaurants Nopi, hat zusammen mit dem Palästinenser Sami Tamimi aus den Zutaten dieses Schmelztiegels ein Kochbuch komponiert, das die Top-Listen der letzten Jahre unangefochten anführt. In und mit „Jerusalem“ lassen sich nicht nur traditionelle Gerichte wie Shakshuka oder Taboulé nachlesen und -kochen, sie werden auch arrondiert durch Geschichten aus der dortigen Kultur und Gesellschaft. Beim Lesen wünscht man sich, dass das friedliche Miteinander der arabischen und israelischen Speisen genauso gut im Zusammenleben funktioniert.

Mit ihrem Reichtum an Gemüse, den aromatischen Gewürzen und der Kombinations-Freude ist die Küche der Levante in den vergangenen Jahren zum absoluten Foodie-Liebling geworden. Einer ihrer wichtigsten Bestandteile sind die Mezze – die kleinen Vorspeisen, die aber auch als Zwischengang gegessen werden und den spanischen Tapas ähneln. Das Wort Mezze findet sich in vielen arabischen Sprachen wieder und leitet sich vom Persischen „Mazze“ oder „Mazīdan“ ab, was für „Geschmack“ und „Imbiss“ steht. Die Mezze werden – auch im feinen Nopi in London – gemeinsam gegessen. Da ist es üblich, dass man sein Fladenbrot ins Baba Ganoush (Auberginen-Sesam-Püree) taucht, im Rote-Bete-Salat mit Ziegenkäse Tisches pickt oder sich eine Falafel oder eine Dolma (gefüllte Weinblätter) stibitzt. Serviert wird alles in Schalen und auf Tellern, die über den gesamten Tisch verteilt werden, sodass jeder von allem probieren kann. Das ergibt ein kunterbuntes Tischgedeck im Mix-and-Match-Stil, ob verziert oder clean, aus Porzellan oder Steingut, in Weiß, Rosa oder Blau, dessen Anblick allein schon den Appetit anregt.

1 Schalen von Bloomingville
2 Schale von Miyazaki Co.
3 Schalen Aerts NV
4 Schalen von Koziol
5 Bowlegefäß von Bohemia Cristal
6 Schale von ASA Selection

Dass das herrliche Crossover der israelisch-arabischen Küche im Kommen ist, sieht man im Übrigen in vielen Großstädten. Allein in Berlin haben ein gutes Dutzend neuer Restaurants eröffnet wie das Benedict, das Feinberg‘s, Hummus & Friends, Milo oder das Yafo – um nur wenige zu nennen. Und in Frankfurt am Main lädt neuerdings die Bar Shuka im 25hours Hotel zum Mezze-Mahl ein.

Bar Shuka in Frankfurt, Foto: Steve Herud
Freitagsküche in Frankfurt, Foto: Wolfgang Günzel

Hauptsache gemeinsam

Es muss aber nicht immer israelisch-arabisch sein, wenn man sich zu kulturübergreifenden „Shared Dishes“ zusammenfinden will. Die Freitagsküche wurde 2004 von Künstlern der Frankfurter Städelschule gegründet, um sich einmal in der Woche mit Freunden und Kollegen zu treffen. Mittlerweile kann man fast schon von Happenings sprechen, weil hier mehr passiert als bloßes Essen. Es stehen immer andere Künstler am Herd – und kochen drauflos, was sie gerne mögen. Ganz ohne Traditionen, Regeln, Rezepte und Etikette. Hauptsache, die Freude ist groß und die Crowd bekommt genug. Denn das ist es, was wirklich zählt: das Erlebnis, gemeinsam satt zu werden. Bon apetito ragazzi!

Community Table im Hotel Bhutan Spirit Sanctuary in Bhutan
Foto: Bhutan Spirit Sanctuary

Eine Tafel für alle

Für das neue Gemeinschaftsgefühl kann ein Tisch nicht groß genug sein. Denn konsequent zu Ende gedacht braucht „Sharing dishes“ auch eine andere Einrichtung in Hotels, Restaurants oder Cafés – privater, intimer und gleichzeitig offener. Die klassische Aufteilung in Zweier-, Vierer- und Sechsertische wird aufgehoben. Immer öfter nehmen Gäste an einem „Community Table“ Platz, an dem Speisen und Gespräche gleichermaßen genossen werden. Der zum Kennenlernen und zum Austausch einlädt: die moderne Form des Abendmahls.