Bewegte Strukturen bilden einen aufregenden neuen Trend im Bereich Tischkultur und Wohnaccessoires. Die Natur ist dabei Vorbild für viele beglückende Formen und Oberflächen – „Delicate Structures“ beschert uns auf diese Weise fantastische Sinneseindrücke.
Subtile Strukturen
The Times They Are A-Changin’ sang Bob Dylan schon 1964, und das gilt heute noch viel mehr. Standen bisher meist möglichst glatte Oberflächen für Eleganz und Raffinesse, so wird im Design nun die Vielfalt der Strukturen entdeckt. Und zwar vor allem die feinen, subtilen Strukturen, von denen die Natur ein ganzes Alphabet bietet. Fürstenberg hat Seeigel-Muster auf Becher und Schalen gezaubert, während bei Miyama filigrane Gräser das Porzellan zieren. Jūratė wiederum, die traditionsreiche Weberei aus Litauen, ist mit naturfarbenen Leinenstoffen vertreten, die fiederzarte Fransen abschließen. Dieser Trend passt gut in eine Zeit, in der oftmals Yoga an die Stelle des Workout getreten ist und das Wandern eine Renaissance erlebt: Wir wollen nicht bloß fit sein, sondern wir wollen mehr spüren – uns und die Welt.
Die Oberflächen geraten in Bewegung
Wasser, Sandkörner, Blattadern, Wolken, Schattierungen, Gräser, Kies – die Natur ist die maßgebliche Ideengeberin, und ihr Reichtum ist unerschöpflich. Die Hängeleuchte von Vita Copenhagen etwa nimmt die geriffelten Wellenbewegungen von Dünen auf und spendet angenehmes Licht. Bei Luzerne sorgen sandartige Spiralen auf dem Teller für Wirbel, während Philippis Zimmerbrunnen mit Flusssteinen die Frische eines Baches ins Interieur holt. Mit seiner Transparenz bietet Glas eine ideale Spielfläche für feine Gestaltungen: Die Karaffe von Nude hat so zarte Rillen, dass sie sich in ein einziges Fließen aufzulösen scheint.
Umwerfende Wirkungen
Strukturierte Oberflächen ergeben interessante Effekte, die jedoch alles andere als Blendwerk sind. Es geht um neue Konstellationen, neue Sichten, neue Wahrnehmungen. Etwa wenn Ceramic Japan seinem feinen Porzellan mit hintergründigem Schalk eine Oberfläche gibt, die wie zerknittert und dann wieder glattgestrichen aussieht. Man stutzt unwillkürlich: Ist Porzellan nun etwas Hartes oder Weiches? Toyo-Sasaki wiederum zeigt Gläser, die aussehen, als habe sie die Sonne geküsst. Strukturierung ist in jeder Hinsicht belebend, und insgesamt sind die Wirkungen wohltuend: fließend, weich, schmeichelnd. Eine sanfte, nur unterschwellig wahrnehmbare Bewegung geht durch den Raum, es ist, als träte uns die Umgebung liebevoll entgegen. Die Natur ist unsere Freundin, wir entspannen uns. Das mag auch an den Farben liegen: Helle, leise Töne bespielen Tisch, Textil und Mobiliar, so auch bei den aufwendig plissierten Servietten von Issey Miyake für Iittala. Ihre Leichtigkeit überträgt sich auf unsere Stimmung.
Technologie und Erfindungskraft
Ermöglicht wird all dies nicht zuletzt durch den Einsatz neuester Technologien wie Laser-Sinter-Verfahren. Die Tischleuchte von Cozi Studio fällt durch die besondere Formung ihres Schirms auf. Mittels 3D-Druck wird Polyamid-Nylon hier zu einem besonderen Textil verwoben, dessen Wölbungen und changierende Dichte einen raffinierten Lichteffekt erzeugen.
Dann wieder ist es das Hergebrachte, welches inspiriert. So haben sich die Japaner Qurz und Kitchibe zusammengetan, um einen Diffuser zu kreieren, der aus der Kultur des Räucherwerks schöpft und frischen Moosduft verbreitet. Auch Kahla knüpft an Traditionskunst an, wenn Origami zur Inspiration für die „Faltung“ eines seiner Porzellane wird. Den Eindruck, dass Japan bei diesem Trend eine starke Rolle spielt, kann Claudia Herke vom stilbüro bora.herke.palmisano bestätigen: „Japan ist in der technischen Umsetzung stark. Doch treibend ist nicht die Technik an sich, sondern die Design-Impulse kommen aus der Kultur.“ Seit jeher steht Japan für reduzierte Anmut, und dieser Verzicht auf das Übertriebene, Bombastische ist der ideale Türöffner für den gegenwärtigen Trend.
Verfeinerung, die bereichert
Den neuen Designs ist eines gemeinsam: Man möchte ihre Formen mit der Hand abfahren, Riffelungen erspüren, Stoffe streicheln, Düfte in sich aufnehmen. Im Zeitalter der Digitalisierung gewinnt die Haptik an Reiz, ehemals getrennte Sparten werden neu zusammengebracht. Doch auch der Blick verfeinert sich. Ja, es ist eine neue Lebensart, die hier möglich wird. Und die in den Details den Überschuss des wirklich Guten feiert. Aus dem ABC der Optik und Haptik ist eine Enzyklopädie des subtilen Erlebens geworden. Der Oberflächenzauber reicht weit in die Tiefe.