Cold Coffee – heißer Drink.

„You say you want a revolution …“, sangen die Beatles 1968 und meinten die gesellschaftlichen Verhältnisse. Nicht politisch, sondern kulinarisch ist die Revolution, die sich gerade beim Kaffee vollzieht, allerdings von vielen noch unbemerkt. Kaffee ist nicht länger ein Koffein spendendes Heißgetränk, sondern erscheint in aufregenden neuen Varianten. Und wir singen den Refrain mit: „All right, all right!“

 

Kalt und fein

Zunächst ist da der kalte Kaffee. Wer jetzt an abgestandenen Brühkaffee denkt, liegt vollkommen falsch. Denn Cold Coffee ist nicht erkaltet, sondern er war von vornherein kalt. Kann das funktionieren, denkt man sich, muss Kaffeepulver nicht mit heißem Wasser übergossen werden, um sein Aroma zu entfalten? Nicht unbedingt. Der Trick besteht darin, dass man Hitze durch Zeit ersetzt. Mit anderen Worten: Beim Cold Coffee wird die Kontaktzeit zwischen Kaffee und Wasser gedehnt, es dauert also länger, um das Getränk mit seinem typischen feinen Geschmack herzustellen.

Cold Drip Zubereiter von Hured

Der Geschmack entfaltet sich allmählich

Es gibt zwei grundlegende Verfahren: Cold Drip und Cold Brew. Cold Drip wurde schon im 17. Jahrhundert von den Niederländern in ihren ostasiatischen Kolonien angewandt, weshalb man zuweilen auch von „Dutch Coffee“ spricht: Eiskaltes Wasser wird tröpfchenweise auf frisch gemahlenes Kaffeepulver gegeben, und zwar über Stunden hinweg. Durch diese langsame Freisetzung der Aromen – Experten sprechen von Extraktion – entsteht ein komplexes, geschmacksintensives Konzentrat, das man mit Wasser verlängert, bevor man es trinkt. Spezielle Geräte, sogenannte Cold Dripper, sorgen dafür, dass man nicht die ganze Zeit selbst kaltes Wasser nachgießen muss, was bei einer Extraktionsdauer von bis zu 12 Stunden sehr mühsam wäre. Ventile steuern den Tropfrhythmus, und mit ihren Glaskolben oder zylinderförmigen Aufsätzen sehen die Cold Dripper oftmals wunderbar futuristisch aus.

1 Cold drip-Zubereiter von Dkinz
2 Eisbehälter von Zack
3 Milchschäumer von Gastroback
4 Cold drip-Zubereiter von Hario
5 Cold drip-Zubereiter von Iwaki

Cold Brew Coffee wird anders zubereitet, entweder mittels formschöner neuer Maschinen, die oftmals einen sehr praktischen Zapfhahn haben, oder per Hand. Für Letzteres geben Sie kaltes, gefiltertes Wasser in ein Behältnis mit Kaffeepulver, das grob gemahlen sein sollte. Rühren Sie die Flüssigkeit einmal gut um und lassen Sie sie dann abgedeckt bei Raumtemperatur am besten über Nacht stehen. Eric Wolf, Deutscher Barista-Meister, empfiehlt 15 Stunden, um den für Cold Brew so typischen Geschmack zu erzielen: „Das ergibt eine zarte, fruchtige Note“. Anschließend wird die Flüssigkeit durch ein Sieb gegossen. Im Vergleich zum Cold Drip braucht man für die Herstellung etwas mehr Kaffee und das Resultat ist auch etwas weniger intensiv im Geschmack. Cold Coffee ist säurearm und lässt sich im Kühlschrank locker bis zu zwei Wochen aufbewahren. Noch praktischer: Man füllt die Kaffeeflüssigkeit in Eiswürfelformen und friert diese ein. So hat man sie schnell parat. Gießen Sie die dunklen Kaffee-Eiswürfel mit Milch auf.

Kreatives Barkeeping

Beide Verfahren ergeben ein herrlich erfrischendes Getränk, das gerade an heißen Sommertagen eine gute Alternative zu herkömmlichem Kaffee oder einem Café affogato ist. Gießen Sie den kalten Kaffee vor dem Genuss mit Wasser auf und servieren Sie ihn in einem schönen Glas – Einmachgläser erfreuen sich dabei großer Beliebtheit. Puristen genießen das Getränk straight oder on the rocks, also mit Eiswürfeln. Dann kommen die ganz unerwarteten, feinen Geschmacksnoten des Cold Coffee so richtig zum Tragen. Einige Sorten schmecken nach Kräutern, andere eher nach Waldbeeren. Beim kalifornischen Hersteller Blue Bottle, einem der Pioniere des neuen Kaffeespezialitäten-Trends, gibt es kalten Kaffee, der nach Pflaumen schmeckt.

Zugleich laden Cold Brew und Cold Drip zum Herumexperimentieren ein. Wer kreiert das erfrischendste Mixgetränk? Soll es ein Schuss frisch gepresste Zitrone sein, oder lieber die Verlängerung mit Holunder- oder Grapefruitsaft? Eric Wolf schätzt die Verbindung mit Tonic Wasser. Je nach Tages- oder Nachtzeit passen auch aufgeschäumte Milch oder Gin, Grand Marnier oder Rum gut zu den Coffee Cocktails. Einen tollen optischen Effekt erzielen Sie übrigens, wenn Sie Eiswürfel und Tonic in ein Glas geben und dann langsam den Cold Brew hinzugeben. So entstehen farblich abgesetzte Schichten, die ein echter Hingucker sind.

1 Cold Brew-Zubereiter und
Milchaufschäumer von WMF
2 Cold Brew-Zubereiter von Hario
3 Cold Brew-Kaffeemaschine von Kitchenaid
4 Cold Brew-Zubereiter und Glas von Kinto
5 Tablett-Set von Philippi

Geschäumt oder gerührt?

Cold Coffee ist aber nicht die einzige Innovation, die unseren Blick auf den Kaffee verändert. Bei der Zubereitung bewegt sich der Kaffee ein kleines Bisschen in Richtung Tee: Coffee Sticks, die mit Kaffeepulver befüllt und mit heißem Wasser überzogen werden, machen sich das Prinzip des Teeeis zunutze und zaubern auch auf die Schnelle eine Tasse guten Kaffees.

Brew It Stick von Barista & Co.

Unerschrockene Genießer, die gern Latte macchiato trinken, sollten sich auf keinen Fall den „Goth Latte“ entgehen lassen, der in Australien und Großbritannien viel getrunken wird. Hierbei ist der Milchschaum tatsächlich schwarz! Wie das möglich ist? Der Milch wird Aktivkohle beigegeben, die für die schwarze Farbe verantwortlich ist. Goths sind ansonsten nicht für einen besonders gesunden Lebensstil bekannt, aber bei diesem Drink gibt es den schönen Nebeneffekt, dass die feinporige Struktur der Kohle Schadstoffe bindet und den Körper somit von Toxinen befreit.

© irissirris

Orte des Glücks

Wer diese Kaffee-Innovationen einmal kennenlernen möchte, begibt sich am besten in eines der Spezialitätencafés, die auch hierzulande immer mehr werden, da das Interesse an Kaffeequalität und kreativen Experimenten wächst. Die Website Europeancoffeetrip verzeichnet allein 9 dieser glücksverheißenden Orte in Frankfurt. Dort kann man in Ruhe ausprobieren, was einem wirklich schmeckt, bevor man sich auf Eigenkreationen zu Hause verlegt. Allein ihre Namen – Kaffee Expressionist, Oheim oder The Holy Cross Brewing Society – machen Lust auf mehr.

The Holy Cross Brewing Society

„Look, Smell, Taste“: Kaffee-Festivals

Wie sehr sich der Trend international durchgesetzt hat, zeigt sich auch an den Coffee Festivals, die z. B. in Amsterdam, London, New York und Wien stattfinden und sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Die Zahlen sprechen für sich: Über 30.000 Besucher zählte das Festival zuletzt in London. Für Kaffee-Freunde sind diese Events ein wahres Eldorado. Sie können an Verköstigungen, Vorträgen von Experten und Workshops teilnehmen; Master-Baristas zaubern auf Milchschaum nicht nur Herzen und Pflanzen, sondern auch Schmetterlinge und filigrane Muster, während andere mit der dunklen Kaffeeflüssigkeit ganze Bilder malen. Natürlich können sich die Besucher auch über die neuesten Geräte informieren, und Live Musik sorgt für gute Laune. Da fällt einem gleich der nächste Beatles-Klassiker ein: „Come Together!“